Es ist Nacht in einer ruhigen Stadt. Zwei Männer verlassen eine Bar. Der erste Mann, betrunken, taumelt neben seinem Freund, dem Fahrer, des Abends, auf ihren Parkplatz am Ende der Straße zu. Plötzlich bleibt der Betrunkene stehen und wühlt nervös in seinen Taschen. Panisch sieht er auf und sagt: “Ich habe meine Schlüssel verloren!” “Ok.”, antwortet sein Freund ruhig, “lasst uns danach suchen”.
Die beiden Männer beginnen, den Bürgersteig nach den Schlüsseln abzusuchen, die dort irgendwo versteckt in der Dunkelheit liegen. Der zweite Mann geht weiter auf dem Weg der Finsternis, der zum Auto zurückführt. Sein betrunkener Freund weicht jedoch von der Route ab und beginnt, den Boden unter der Straßenlaterne abzusuchen.
Nach einigen Minuten nähert sich ihm der zweite Mann und fragt: “Glaubst Du, dass Du hier Deine Schlüssel verloren hast?” Der betrunkene Mann schaut zu seinem Freund auf und sagt: “Nein. Ich kann mich eigentlich nicht einmal daran erinnern, hier entlang gegangen zu sein”. Verwirrt und etwas verärgert antwortet sein Freund: “Warum suchst Du dann hier?” Der Betrunkene hält einen Moment inne und zuckt darauf nonchalant mit den Schultern. “Das Licht ist hier besser.”
Diese Geschichte lässt sich auf unsere Lage als Menschen übertragen. Ständig darum bemüht, die Welt, in der wir leben, zu verstehen, wurden wir dazu erzogen, uns vor der Dunkelheit zu fürchten. Von den gesellschaftlichen Zwängen, denen wir im Laufe unseres Lebens ausgesetzt sind, bis hin zu der Art, wie unser Verstand strukturiert ist. Wir sind darauf konditioniert, Unsicherheit zu vermeiden. Um Risiko zu vermeiden, akzeptieren wir einfache Antworten. Wir sind die Betrunkenen, die unter der Straßenlaterne nach den verlorenen Schlüsseln suchen.

"Es mangelt uns nicht an Ermahnungen, das Ungewisse zu meiden."
Geh’ auf Nummer sicher. Curiosity killed the Cat. Wenn wir nach einem überzeugenden Sprichwort suchen, dortzubleiben, wo wir sind, werden wir es finden. Aber was werden wir nicht entdecken? Unsere Schlüssel. Wir scheuen die Suche, denn sie werden nicht leicht zu finden sein.
Für uns als Menschheit liegt die Lösung darin, uns als Forschende zu begreifen und uns auf Entdeckungsreise zu begeben. Ich spreche davon, Wissen zu erlangen und über Wahrheiten über unsere Welt und uns selbst zu stolpern. Es könnte eine religiöse oder wissenschaftliche Realität sein. Wahrheiten über Kunst, Geschichte, Geschäft oder Beziehungen. Solange es bewiesene Tatsachen sind, solange es sich um Wissen handelt. Die Schlüssel, nach denen wir alle suchen, sind die Mittel, um eine neue Ebene des Verständnisses zu erschließen. Kurz gesagt, es geht um das Lernen.
In manchen Kreisen hat der Begriff “neugierig” eine negative Bedeutung. “Seien Sie nicht so aufgeschlossen”, warnen manche Leute, “dass Ihnen das Hirn raus fällt”. Das ist ein geistreiches kleines Juwel, aber nicht sehr genau. Neugier befreit unser auf Sicherheit konditioniertes Gehirn; wir fühlen uns lebendig.
Eine Gruppe von Forschern wollte testen, inwieweit die Suche nach neuen Informationen zu einer genaueren Entscheidungsfindung führt. Gibt es dabei Persönlichkeitsattribute, die solche Bestrebungen unterstützen? Das Experiment war wie folgt aufgebaut: Zunächst wurde einer Gruppe von Probanden ein Bildschirm gezeigt, der aus verschiedenen Bildern wie mathematischen Symbolen, Emoticons und geometrischen Formen zusammengesetzt war. Dann wurden sie gebeten,
- das am häufigsten erscheinende Zeichen und
- die Gesamtzahl der gezeigten Zeichen zu schätzen.
Der Haken: Das Zeitlimit. Innerhalb von vier Sekunden verschwand der Bildschirm, und die Probanden erhielten zwei Möglichkeiten:
- die Objekte erneut zu betrachten oder
- eine Schätzung vorzunehmen.
Wenn die Probanden sich dafür entschieden, die Objekte erneut zu betrachten, wurde ihnen die gleiche Menge an Gegenständen für weitere vier Sekunden gezeigt, jedoch in einer anderen Reihenfolge. Die Teilnehmer durften die Dinge so oft ansehen, wie sie wollten, bevor sie ihre Schätzung abgaben.
In einem separaten Experiment wurde eine andere Gruppe von Personen gebeten, die Ergebnisse von zehn Fußballspielen vorherzusagen, die in einer Woche einer vorangegangenen Saison stattfanden und den Probanden mitgeteilt wurden. Auf jedem Bildschirm wurden den Teilnehmern die Heim- und Auswärtsmannschaft sowie zwei Optionen angezeigt:
- Information oder
- Schätzung.
Wenn die Teilnehmer die Option “Information” wählten, erhielten sie eine von zehn Fakten, die ihnen bei der Erstellung einer genauen Vorhersage helfen würden. Sie hätten zum Beispiel die Gewinn- und Verlustbilanz jedes Teams erfahren können oder dass ein Schlüsselspieler einer der Mannschaften verletzt wurde. Die Mitwirkenden durften so viele Informationen einsehen, wie sie wollten, bevor sie eine Schätzung abgaben.
Am Ende jedes dieser Experimente erhielten die Teilnehmer eine Reihe von Fragebögen, die auf einige der häufigsten in der psychologischen Literatur anerkannten Persönlichkeitsattribute getestet wurden. Zu diesen Attributen gehören:
- Maximierung vs. Befriedigung: Das Ausmaß, in dem Menschen nach der besten Option (Maximierung) suchen, im Gegensatz zu einer, die einfach “gut genug” ist (Befriedigung).
- Strebsamkeit: die Neigung, angesichts von Herausforderungen ein extremes Maß an Anstrengung und Beharrlichkeit aufzubringen.
- Bedürfnis nach Erkenntnis: die natürliche Anziehungskraft auf psychisch komplexe Probleme und Ideen.
Aktives offenes Denken: die Neigung, alle Optionen, insbesondere widersprüchliche, in Betracht zu ziehen, bevor man eine Entscheidung trifft. Als alle Daten gesammelt und analysiert waren, fanden die Forscher ein interessantes Ergebnis:
"Je mehr Informationen die Menschen suchten, desto konkreter waren ihre Vermutungen."

Im ersten Experiment war es umso wahrscheinlicher, dass die Menschen sowohl das häufigste Zeichen als auch die Gesamtzahl der Zeichen genau erraten konnten, je mehr sie die Objekte betrachteten. Im zweiten Experiment war es umso wahrscheinlicher, dass die Teilnehmer die Gewinner der Spiele richtig erraten, je mehr Informationen sie über die Mannschaften erfahren hatten. Eine größere Erfassung von Informationen führt zu einer größeren Genauigkeit bei der Entscheidungsfindung. Aber was veranlasste diese Menschen, sich mehr Informationen anzueignen? War es der Wunsch, die bestmögliche Option zu wählen? Oder der Reiz von Komplexität? War es die Fähigkeit, in schwierigen Situationen durchzuhalten? Nein, nichts davon.
Die einzige Eigenschaft, die es den Teilnehmern beider Experimente ermöglichte, neue Informationen zu suchen und bessere Vorhersagen zu treffen, war der Drang nach aktivem, offenem Denken. Mit anderen Worten: Menschen, die bessere Entscheidungen treffen, sind Menschen, die Folgendes glauben:
- Die Bereitschaft, sich durch ein Gegenargument überzeugen zu lassen, ist etwas Positives.
- Menschen sollten auch Beweise in Betracht ziehen, die ihren Überzeugungen widersprechen.
- Die Menschen sollten bereit sein, ihre Überzeugungen im Lichte neuer Informationen zu ändern.
- Die Änderung der eigenen Meinung ist kein Zeichen von Schwäche.
- Intuition ist nicht der beste Maßstab für die Entscheidungsfindung.
- Man sollte Beweise nicht deshalb ignorieren, weil sie etablierten Überzeugungen widersprechen.
Ihre Fähigkeit, sowohl die Realität genau zu interpretieren als auch die Zukunft erfolgreich vorherzusagen, ist proportional zu der Menge an Fragen, die Menschen bereit sind zu stellen. Wer die Kühnheit hat, die meisten Nachfragen zu stellen, wird das Privileg haben, die meisten Antworten zu erhalten.